Hans-Georg Wieck hatte eine besondere Verbindung zu Indien. Höhepunkte waren seine Tätigkeit als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Neu-Delhi (1990-1993) und der ehrenamtliche Vorsitz bei der Deutsch-Indischen Gesellschaft (DIG) von 1996 bis 2008. In dieser Rolle setzte er sich seiner Position gemäß für die Vertiefung der deutsch-indischen Freundschaft ein und förderte zahlreiche Initiativen und Projekte, wobei ihm seine vielen Kontakte in Wirtschaft und Politik behilflich waren.
Unter anderem war er es, der im Hintergrund für die Finanzierung des jährlichen Südasientages bei seiner Alma Mater, der Universität Hamburg, Sorge trug. Diese Veranstaltungsreihe mit Diskussionen zu aktuellen Themen, kulturellen Beiträgen und vor allem der Zusammenarbeit von Wissenschaft, DIG, Diplomatie und Politik waren ein Versuch, die Wissenschaft von ihrem Elfenbeinturm in eine breitere Öffentlichkeit zu ziehen – und zugleich wichtige, praktisch gedachte Beiträge zu der heftigen Debatte um die Neuausrichtung der guten alten Indologie in Richtung einer modernen und interdisziplinär vernetzten Südasienwissenschaft.
Wieck interessierte sich sehr für diese Debatte und ebenso für die, die sie führten. Überhaupt interessierte er sich nicht nur für Themen, sondern auch für Menschen. Auf Empfängen sprach er alle möglichen Leute ohne Hemmungen an und gab sich im Gespräch völlig unkompliziert. Er schätzte sowohl die klassische Indologie mit ihrer 200-jährigen Tradition wie auch die neue Südasienwissenschaft, wie sie insbesondere von Rahul Peter Das offensiv ins Spiel gebracht wurde. Wieck war selbst ursprünglich ein Mann der Wissenschaft – er hatte von 1947 bis 1952 Geschichte und Philosophie in seiner Heimatstadt Hamburg studiert und promovierte 1953 mit einer Dissertation mit dem Titel „Die Entstehung der Christlich-Demokratischen Union und die Wiedergründung der Zentrumspartei von 1945 bis 1947“.
Als es jedoch mit einer weiteren akademischen Karriere nichts wurde, trat er 1954 ins Auswärtige Amt ein. Vor seiner Zeit in Neu-Delhi hatte er unter anderem an den damals prestigevollen aber politisch heiklen Posten als Botschafter in Iran (1974-1977) und in der UdSSR (1977-1980) gedient. Dass ihn danach der Posten in Neu-Delhi interessierte, war nicht selbstverständlich – die indische Seite galt damals als besonders schwieriger Verhandlungspartner. Die Versetzung nach Neu-Delhi war bei Diplomaten nicht sonderlich beliebt. Wieck hatte aber vermutlich schon damals eine Ahnung der kommenden Veränderungen und vor allem des politischen Potentials Indiens als asiatischer Großmacht. Unermüdlich warb er für den Ausbau der Beziehungen zwischen Deutschland und Indien – einer seiner (bisher unerfüllten) Träume war ein deutsch-indisches Jugendwerk.
Von 1980 bis 1985 war er ständiger Vertreter Deutschlands bei der NATO gewesen – in einer Zeit, als in Ost- und Westdeutschland jeweils Tausende von Mittelstreckenraketen stationiert wurden. Zudem war er im Verteidigungsministerium unter anderem als Leiter des Planungsstabs tätig. Doch als Militaristen sah er sich nicht. 1985 kam er auf den vermutlich prestigereichsten Posten seiner Karriere, nämlich den des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), eine Position, die er bis zum Jahr der Wiedervereinigung 1990 innehatte. Später war Wieck Berater des Gesprächskreises Nachrichtendienste in Deutschland e.V. (GKND), einer Diskussionsgruppe über Nachrichtendienste in Deutschland, die von seinem ehemaligen Kollegen Wolbert Klaus Smidt in enger Zusammenarbeit mit ihm gegründet wurde. Wieck war unter anderem auch ein Lobbyist für das Nachrichtendienstliche.
1990 wurde Wieck Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Neu-Delhi, wo er bis zur Pensionierung 1993 blieb. Es war die Zeit, in der Indien knapp am Staatsbankrott vorbeikam und die wirtschaftliche Liberalisierung einsetzte, woraufhin sich schon bald hohe Wachstumsraten einstellten. Nach seinem Ruhestand im Staatsdienst zog er sich keineswegs ins Privatleben zurück, im Gegenteil. Von 1998 bis 2001 leitete er die OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk (Weißrussland). Später wurde er zum Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Vereins „Menschenrechte in Weissrussland“. Das weltweite Engagement für die Durchsetzung von Menschenrechten spielte eine große Rolle in seinem lebenslänglichen Engagement bis ins hohe Alter.
Nur einmal legte sich Wieck mit einem Außenminister öffentlich an – als Diplomat der alten Schule war er einer der Kritiker einer Anweisung mit eigentlich eher symbolischen Bedeutung, die der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer durchsetzte. Ehemaligen Diplomaten, die Mitglieder der NSDAP gewesen waren, wurde seit dem Ende der 1990er Jahre nach ihrem Tod keine Ehrung mehr in Form eines Nachrufs im Bulletin des Auswärtigen Amtes zuteil. Manche haben sich über dieses Engagement Wiecks gewundert, bei der es ihm um eine Frage der Gerechtigkeit für von ihm geschätzte Vorgesetzte und Kollegen ging. Hans-Georg Wieck war im Allgemeinen ein Mann des Ausgleichs und der Diplomatie, doch gelegentlich konnte es ihm auch einfach nur ums Prinzip gehen.
Viele verschiedene Rollen wusste er im Laufe seines langen Lebens und bis ins hohe Alter stets mit großem Engagement, wachem staatsbürgerlichem Sinn, mit Chuzpe und spielerischer Leichtigkeit miteinander zu kombinieren – alles kam bei ihm scheinbar organisch zusammen. Er glaubte daran, dass man auch mit schwierigen Partnern zu Verhandlungslösungen kommen kann. Zahlreiche Projekte unterstützte er sozusagen im Hintergrund, ohne sich selbst nach vorne zu spielen. Begraben wurde der gebürtige Hamburger in Bonn-Bad Godesberg im engen Familienkreis. Statt Kränze und Blumen wurde auf seinen Wunsch hin um Spenden für den Johanniterorden gebeten, wo er seit 1982 “Rechtsritter” war.
Heinz Werner Wessler