Der Smog über südasiatischen Metropolen wird jeden Winter ein bisschen dichter und gefährlicher. Über Lahore hing in diesen Tagen eine Giftbrühe wie noch nie. Kurzzeitig war die Hauptstadt des pakistanischen Punjab sogar die am stärksten verschmutzte Stadt der Welt – womit sie der indischen Hauptstadt Delhi den Rang abgelaufen hat. Die Luftqualitätswerte haben kürzlich den Rekordwert von 1.067 erreicht, weit über den als „gefährlich“ geltenden Grenzwerten, 40-mal über dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Höchstwert. Die Weltgesundheitsorganisation betrachtet eine PM2,5-Konzentration von über 15 als ungesund. Am Sonntag ging der Wert zwar auf 514 zurück, doch von Entwarnung kann nun wirklich keine Rede sein. Auch andere Großstädte in Pakistan wie Multan und Gujranwala sind von extrem hohen Luftbelastungen betroffen.
Der AQI-Wert (Air Quality Index) gibt die Konzentration von Feinstaubpartikeln in der Luft an. Gemessen wird die Menge der PM10-Partikel sowie der besonders gefährlichen PM2,5-Partikel pro Kubikmeter. Die Gründe für die Verschmutzung sind in Pakistan wie in Indien seit Jahren bekannt: Autoabgase, vor allem die von minderwertigem Diesel, das Verbrennen von Ernteabfällen (mittlerweile illegal in Indien), industrielle Abgase, die ausufernde Bautätigkeit und saisonale Wetterbedingungen. Hinzu kommen die Böller am Diwali Fest (in diesem Jahr am 31. Oktober) – nur wenige kümmern sich darum, dass die Knallerei wegen der schlechten Luft seit einigen Jahren eigentlich verboten ist.
Die Regierung in Punjab hat wie auch schon in den vergangenen Jahren Sofortmaßnahmen ergriffen, darunter die Schließung von Schulen bis zum 17. November und die Einführung von Homeoffice für 50 % der Angestellten in öffentlichen und privaten Unternehmen. Zusätzlich wurden Maßnahmen wie das Verbot von Bauarbeiten und die Reduzierung von Fahrzeugbewegungen umgesetzt, um die Schadstoffemissionen zu senken. Ministerin Mariyam Aurangzeb rief die Bürger auf, Schutzmasken zu tragen und möglichst zu Hause zu bleiben. Mit anderen Worten: Symptombehandlung. Die strukturellen Problemursachen bleiben bestehen.
Doch die Sache hat auch noch eine außenpolitische Dimension: Der Wind habe den Smog aus Indien herübergetragen und die Luftverschmutzung in Lahore auf ein gefährliches Niveau ansteigen lassen, so Mariyam Aurangzeb, die für Umweltschutz zuständige Ministerin der pakistanischen Provinz Punjab, am Sonntag. Für 30 Prozent des Smogs in Lahore soll Indien verantwortlich sein. Damit liegt der sprichwörtliche schwarze Peter erstmal zumindest zum Teil im Nachbarland begraben. Punjabs Regierungschefin Maryam Nawaz will aber nicht nur anklagen, sondern wirbt für “Smog-Diplomatie” mit Indien.
Das Problem ist seit Jahren bekannt und tritt doch in jedem Winter von neuem und mit größerer Wucht auf. Es fehlt einfach am politischen Willen, die Emissionen in den Griff zu bekommen. Aber die Initiative von Nawaz kann man vielleicht als Anzeichen ansehen, dass zwischen Indien und Pakistan wieder Hoffnung auf Tauwetter herrscht. Erst Mitte Oktober war Indiens Aussenminister Subrahmanyam Jaishankar nach Islamabad gereist – das erste Mal seit fast einem Jahrzehnt.
Doch bis zu einem effizienten grenzüberschreitenden Emissionsabkommen ist es noch ein weiter Weg, auf dem noch viele Fußangeln ausgelegt sind. Die Leidtragenden sind die Menschen, die jedes Jahr mit giftigerer Luft leben und sterben müssen. Und sie wissen: Der nächste Winter mit hochgiftigem Smog kommt bestimmt.
Heinz Werner Wessler
Lesetipps:
https://tribune.com.pk/story/2507852/punjab-schools-closed-till-november-17-amid-smog-crisis
https://jang.com.pk/en/24352-lahore-faces-severe-smog-crisis-as-pollution-hits-historic-levels-news