Skip to content Skip to footer

Rivalen der Taliban

Innere und äußere Belagerung

Salman Rafi Sheikh

Am 5. September 2022 wurden bei einem Selbstmordanschlag auf die russische Botschaft in Kabul mindestens sechs Menschen getötet. Der Islamische Staat Khorasan (IS-K) übernahm die Verantwortung und störte die von den Taliban in aussicht gestellte Stabilität empfindlich. Wer den Taliban sonst noch feindlich gesonnen ist, beschreibt der Autor.

Mehr als ein Jahr nach der Machtübernahme ist die Lage in Afghanistan instabil. Der UN-Sicherheitsrat informierte im Juli 2022, dass nach dem Abzug der US-Truppen der Islamische Staat im Irak und in der Levante (ISIL), Al-Qaida und andere Dschihad-Gruppen mehr Raum zur Verfügung haben. Dies destabilisiert das Taliban-Regime, beunruhigt aber auch Nachbarländer wie Pakistan. Der Sieg der Taliban hat die in Pakistan verbotene Gruppe Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP) gestärkt. 

Religiöse Minderheiten im Visier

Der IS-K greift hochrangige afghanische Führer an. Am 11. August 2022 tötete er den Taliban-Kleriker Rahimullah Haqqani. Er war für seine gegen den Islamischen Staat gerichteten Ansichten bekannt. Um das Taliban-Regime zu schwächen und konfessionelle Spannungen zu schüren, nimmt der IS-K die religiösen Minderheiten Afghanistans ins Visier, insbesondere die Gemeinschaft der Hazara. Bei einem Anschlag am 30. September wurden im Bezirk Dasht-e-Barchi im Westen Kabuls über 53 Angehörige dieser Gemeinschaft getötet, darunter viele junge Frauen. Zwischen August 2021 und September 2022 hat der IS-K mindestens 13 Angriffe auf die Hazara-Gemeinschaft unternommen. Nach Angaben von Human Rights Watch wurden mindestens 700 Menschen getötet oder verletzt. 

Die Hazara sind nicht die einzigen, die angegriffen werden. Am 29. April 2022 kamen bei einem Anschlag auf eine Sufi-Moschee in Kabul über 50 Menschen ums Leben. Sie hatten sich nach dem Freitagsgebet zu einer Versammlung (Zikr) eingefunden. Orthodoxe Gruppen sehen dies als ketzerisch an. Der IS-K kann laut UN-Sicherheitsrat inzwischen Kämpfer anderer regionaler und transnationaler Gruppen mit Sitz in Afghanistan anwerben. Dazu gehören die China-feindliche Islamische Bewegung Ostturkestan (ETIM) und der Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP).

Unter den Taliban gibt es Gruppierungen, die mit dem IS-K sympathisieren. So hat das Haqqani-Netzwerk – eine mächtige Taliban-Gruppierung – anscheinend Anschläge mit dem IS-K koordiniert. Zwar besetzt das Haqqani-Netzwerk einflussreiche Ministerien in Afghanistan, einschließlich Innenministerium. Dieses wird von Sirajuddin Haqqani selbst geleitet. Aber eine entschlossene Reaktion des Taliban-Regimes ist intern umstritten und daher begrenzt. Diese Lähmung ruft noch andere Aufständische auf den Plan, wie etwa die Nationale Widerstandsfront (NRF). Sie wird von Ahmad Massoud angeführt, Sohn von Ahmad Shah Massoud, der wenige Tage vor den Anschlägen vom 11. September 2001 von Al-Qaida ermordet worden war. Dies alles ist Ergebnis der ethnisch ausgrenzenden Struktur des Taliban-Regimes. Massoud, der in Tadschikistan lebt, sagte vor kurzem, Afghanistan sei jetzt ein Zentrum des Terrorismus.

Wirtschaftskrise 

Die derzeitige wirtschaftliche Lage Afghanistans hindert die Konsolidierung des Regimes ebenfalls. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) veröffentlichte am 5. Oktober 2022 einen Bericht zur sozioökonomischen Lage. Demnach ist Afghanistan mit mehreren, miteinander verschränkten Krisen konfrontiert. Fast 20 Millionen Menschen, knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung, seien in hohem Maße von Ernährungsunsicherheit bedroht. Vor der Machtübernahme der Taliban belief sich diese Zahl auf elf Millionen. Nach Angaben des UNDP sind die Kosten für den Warenkorb landesweit um 35 Prozent gestiegen. Nahezu 700.000 Arbeitsplätze gingen verloren. Unternehmen im Privatsektor, die von Frauen geführt wurden, wurden geschlossen. 

Der Rückzug der Geberorganisationen sowie der Ausschluss der afghanischen Zentralbank aus dem internationalen Bankensystem haben die Krise verfestigt. Bargeld wurde knapp, ist aber überwiegendes Zahlungsmittel in Afghanistan. Gleichzeitig scheint der IS-K seinen Kämpfern lukrative Gehälter anbieten zu können. Die Antwort ist nicht so schwer, wer sich wo einen Arbeitsplatz sucht.

Aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet von Theodor Rathgeber

Zum Autor

Salman Rafi Sheikh lehrt Politik an der Lahore University of Management Sciences (LUMS) und berichtet regelmäßig für die Plattform Himalmag.

Texthinweis

Der Text erschien am 11. November 2022 im Original auf der Plattform Himalmag unter dem Titel Taliban Regime Under Siege, Within and Without.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner