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Steigt die Kriegsgefahr?

Die Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan bleiben auf Talfahrt. Von 9. bis 19. Oktober kam es zu den bisher schwersten Grenzgefechten seit Machtantritt der Taliban, womit die Hoffnung, dass sich Islamabad mit dem Mullah-Regime besser als mit vorherigen afghanischen Regierungen arrangieren wird, endgültig begraben werden kann. Der zehntägige Konflikt gehört sogar zu den blutigsten Episoden, seit Pakistan die Nachfolge vom Großbritannien als Nachbar Afghanistan angetreten hat. Nach der Intervention von Katar, der Türkei und Saudi Arabien vereinbarten die Kontrahenten zwar einen Waffenstillstand und setzten sich zunächst in Doha und aktuell in Istanbul zusammen an einen Tisch. Doch die Gespräche wurden mehrfach unterbrochen und ergaben bisher nur wechselseitige Anschuldigungen, Widerrufe und vor allem von Pakistan massive Drohungen.

Wie in Russland halten sich die wahren Machthaber, Premierminister Shehbaz Sharif und besonders Armeeoberbefehlshaber Asim Munir, verbal zurück. Während in Moskau Dimitri Medwedew für die ganz harten Ansagen zuständig ist, übernimmt neben Informationsminister Attaullah Tarar in Islamabad vor allem Verteidigungsminister Khawaja Asif die Aufgabe des Wadenbeißers. Er ist es auch, der am schärfsten gegen Imran Khan und die PTI (Pakistan Tehreek-e-Insaf) austeilt. In Istanbul drohte er Afghanistan im Fall des Scheiterns der Verhandlungen offen mit Krieg und prophezeite der Taliban, sie dann „… in die Höhlen zurück zu bomben …“. Wie ernst man solches Säbelrasseln nehmen kann, ist nur schwer zu sagen. Denn eine längere oder sogar dauerhafte Unterbrechung der Feindseligkeiten wird es sehr wahrscheinlich nicht geben (vielleicht sogar nur eine sehr kurze). Und Pakistan könnte sich deswegen bald in der Verlegenheit befinden, den Worten Taten folgen zu lassen (müssen).

Bevor man sich jedoch im general headquarters, dem Oberkommando der Armee in Rawalpindi, zu drastischeren militärischen Maßnahmen als bisher entscheidet, sollten die Generäle nochmal Revue passieren lassen, wer in den vergangenen 190 Jahren in Afghanistan militärisch gescheitert ist und warum. Dazu gehören Welt-und Supermächte wie das Britische Empire, die Sowjetunion und die USA samt NATO. Zur Zeit ihrer Invasion befanden sie sich alle auf dem wirtschaftlichen Höhepunkt und dem Zenit ihrer Macht. Davon ist Pakistan Lichtjahre entfernt. Stattdessen schlingert man noch immer am Bankrott entlang und kann nur dank der Unterstützung Chinas und der Golfstaaten den Kopf über Wasser behalten. Und es ist nicht so, als ob die Armee alle Möglichkeiten ausschöpfen könnte. Laut dem indischen Premier Narendra Modi ist Operation Sindoor, die letzte heiße Phase im Konflikt mit Pakistan noch nicht beendet und kann jederzeit aufflammen. In so einer Situation kann Pakistan unmöglich Truppen und Ressourcen vom Osten in den Westen verlegen.

Ein verschärftes Vorgehen gegen Afghanistan, gar eine regelrechte Invasion, könnte es wirtschaftlich in den Abgrund stürzen und verwundbar wie zuletzt 1971 für eine Attacke Indiens machen. Damals wurde mit militärischen Mitteln versucht, den Aufruhr in Ostpakistan (nun Bangladesch) zu unterdrücken. Die ausgelöste Flüchtlingswelle diente Indien als Rechtfertigung, Pakistan kurzerhand aufzuspalten. Als nächstes sollten die Generäle kalkulieren, wie groß die Aussichten auf einen wie immer gearteten Sieg in diesem möglichen Krieg sein könnten – bei in Wahrheit nur bescheidenen zur Verfügung stehenden Mitteln. Und man darf nicht vergessen, dass es der Armee seit 2008 misslingt, die Stammesgebiete der Paschtunen und Balochen westlich des Indus – auf eigenem Territorium – zu befrieden. Wahrscheinlich wird sie daran auch in Zukunft scheitern. Wie sollte das in einem deutlich größeren Konflikt anders werden?

Wenn Geschichte in Südasiens eines lehrt, dann, dass man den Stämmen zwischen Oxus (heute  Amu Darya) und Indus nicht mit Krieg zu kommen braucht. Dieser fundamentalen Einsicht müssen sich auch die Generäle in Rawalpindi stellen, das sinnlose Unterfangen in den ehemaligen FATA (federally administered tribal areas), dem Siedlungsraum der Paschtunen und Balochen, ist der Beleg dafür. Wie ein Kompromiss aussehen kann, ist schwer zu sagen, doch die alten Methoden haben ausgedient – und haben sich in Wahrheit nie bewährt. Pakistan steckt jedenfalls in einer ganz prekären Zwickmühle: Anders als die Vorgänger kann man nicht einfach einpacken und abziehen.

M.S.

 

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