Mitten im Boom der Textilindustrie in Bangladesch brach vor zehn Jahren, am 24. April 2013, das Gebäude der Textilfabrik Rana Plaza in Dhaka in sich zusammen. An Anzeichen, dass das Gebäude vor dem Zusammenbruch steht, hatte es nicht gefehlt, doch sie wurden nicht ernst genommen. Rana Plaza belieferte weltweit große Textilketten. Die Bedingungen im Preiswettbewerb sind hart, die Leitung des Betriebs glaubte, dass es irgendwie schon gut gehen werde und produzierte einfach weiter – der Wettbewerb um die billigsten Fertigtextilien ist hart.
Bis heute gilt das Unglück, bei dem über 1.100 Menschen ums Leben kamen und über 2.000 Näherinnen teils schwer verletzt wurden, als eines der schlimmsten in der Geschichte der globalen Textilindustrie. Der Regierung des Landes war die Katastrophe sichtlich unangenehm. Der Aufstieg des Textilexports im Land ist aus ihrer Sicht eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Immerhin wurden die Sicherheitsstandards in vielen Fabriken seitdem erhöht. Doch die Arbeitsbedingungen in den zahlreichen Betrieben sind nach wie vor hart. Arbeitstage mit bis zu 14 Stunden, sechs Tage in der Woche sind keine Seltenheit. Die niedrigen Lohnkosten erlauben eine günstige Produktion, doch die Lebensbedingungen für die Arbeiter verbessern sich kaum.
Das lang diskutierte EU-Lieferkettengesetz soll hier Besserung bringen. Heute, am 14. Dezember 2023, ist es endlich Wirklichkeit geworden. Das EU-Parlament hatte am 1. Juni dieses Jahres bereits eine „Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit“ (Englisch: Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) beschlossen. Dieses „Richtlinie“ musste aber noch den sogenannten „Trilog-Prozess“ durchlaufen, bei dem EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat die dann gültigen Formulierungen in einem Konsensverfahren zurechtfeilen. Diese Richtlinie muss nun in das nationale Recht der Mitgliedsstaaten überführt werden, von denen einige schon Lieferkettengesetze haben.
In Deutschland ist seit dem 1. Januar 2023 ein solches Gesetz in Kraft, das allerdings die Forderungen der Initiative Lieferkettengesetz (lieferkettengesetz.de) weitgehend verwässert. So gilt die allseits geforderte Sorgfaltspflicht über die gesamte Lieferkette nur sehr eingeschränkt und erst ab einer bestimmten Betriebsgröße. Im Kampf gegen die Arbeitsbedingen bei BMW-Zulieferfirmen zeichnet sich derzeit exemplarisch ab, dass es mit dem deutschen Gesetz nur sehr schwer möglich ist, deutsche Abnehmerbetriebe für die Arbeitsbedingungen an Produktionsstandorten im Süden der Welt haftbar zu machen.
Erfreulicherweise geht die EU-Richtlinie weiter als das deutsche Lieferkettengesetz. Es wird daher angepasst werden müssen. Ob damit eine faire Verteilung der Beweislast möglich wird, ist allerdings dann immer noch fraglich. Bedenklich auch, dass der Finanzsektor weiterhin ausgeklammert ist. Nur wenn auch hier vollumfängliche Sorgfaltspflichten gelten, kann sichergestellt werden, dass europäische Banken und Investoren keine Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung finanzieren. Davon sind wir noch weit entfernt. Der Klima-Gipfel in Doha hat mehr denn je gezeigt, welche wichtige Rolle die Banken bei der Klimakrise spielen.
Jedenfalls muss das deutsche Lieferkettengesetz umgehend an die neue EU-Richtlinie angepasst werden. Es darf keine Zwangsarbeit und andere grobe Verstöße gegen Menschenrechtsnormen in der Lieferkette geben. Überfällig ist auch die Regulierung des Finanzsektors in diese Richtung. Außerdem müssen Fragen der ökologischen Verantwortung auch bei den Zulieferern viel mehr beachtet werden, vor allem die Ziele des Pariser Abkommens zum Klimaschutz. Die EU-Richtlinie ist ein wichtiger Baustein auf der Großbaustelle der rechtlichen Normierung unternehmerischer Verantwortung in den weltweiten Lieferketten unserer Epoche.
Heinz Werner Wessler