Nach der Eroberung des Westjordanlandes und des Gazastreifens im Jahr 1967 integrierte die israelische Regierung die Bewohner dieser Gebiete in die israelische Wirtschaft. Die Intifada änderte jedoch die Einstellung zu Landarbeitern, die von den besetzten Gebieten ins israelische Kernland pendeln. Sie wurden nun mehr und mehr als potentielles Sicherheitsrisiko angesehen. Seit den 1990er Jahren begann Israel, ausländische Arbeitsmigranten aus anderen Ländern zu rekrutieren. Im Jahr 2021 machten palästinensische Arbeitskräfte nur noch ein Viertel der gesamten landwirtschaftlichen Arbeitskräfte Israels aus, ungefähr 20.000 Menschen.
Nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober ist dieser Pendelverkehr der Landarbeiter praktisch vollständig zum Stillstand gekommen. Über Nacht konnten zehntausende palästinensischer Arbeitskräfte nicht mehr zu ihrem Arbeitsplatz kommen, da die Grenzen plötzlich wegen Sicherheitsbedenken – die viele aber eher für eine Art Kollektivstrafe halten – für sie geschlossen waren. Bei dem Hamas-Überfall auf Israel wurden insgesamt 17 nepalesische Arbeiter getötet und mehrere als Geiseln genommen. Die meisten kamen bei den Austauschaktionen Ende 2023 frei, doch eine Geisel, Bipin Joshi, befindet sich immer noch immer im Gaza-Streifen – lebendig oder tot.
Zu Winteranfang 2023 standen viele Farmen in Israel vor einer akuten Personalkrise. Landwirtschaftliche Betriebe begannen, in Eigenregie tausende ausländische Arbeitskräfte aus Ländern wie Indien, Thailand, Nepal, Malawi und Sri Lanka zu rekrutieren, um die Ernte zu sichern. Dies ist politisch gewollt, die Visavergabe läuft inzwischen routiniert. Oft werden vage 5500 Schekel als Monatslohn angeboten, oder die entsprechende ominöse Höhe von 1500 US-Dollar. Dabei bleibt aber offen, wieviel für Abgaben, Versicherung, Miete, Essen usw. vom Arbeitgeber abgezogen werden. Trotzdem ist das Angebot attraktiv genug für südasiatische Landarbeiter, die in ihren Heimatländern in Armut leben.
Etwa 5000 Arbeiter sollen allein aus Indien seit dem Oktober vergangenen Jahres über registrierte Vermittlungsagenturen nach Israel vermittelt worden sein. Sie arbeiten meisten auf der Basis eine Fünf-Jahres-Vertrages. Bei frühzeitiger Rückkehr haben sie erhebliche Nachteile zu befürchten – vor allem wird dann einbehaltener Lohn gar nicht ausbezahlt. Daneben gibt es eine hohe Dunkelziffer von Landarbeitern, die von Israel aus direkt angeworben wurden. Ihr Status ist noch prekärer.
Vor Ort erweisen sich die Arbeits- und Lebensbedingungen oft als schwierig. Harte Arbeit und lange Arbeitstage sind die Regel. Oft erweist sich, dass das Gehalt weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Viele Klagen betreffen die Unterkünfte sowie die Ernährung. Kontakte jenseits des Arbeitsplatzes sind schon wegen der Sprachbarriere schwer möglich.
Die Unsicherheit und die aktuelle Kriegsgefahr verschärfen die Situation zusätzlich. Viele der neuen Arbeitskräfte sind unvorbereitet auf die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind. Am vierten März dieses Jahres kamen zwei indische Landarbeiter in Nordisrael beim Raketenbeschuss aus dem Libanon ums Leben: Melbin Paul (32) und Bipin Vaghela (50), beide aus Kerala, waren auf der Stelle tot.
Hinzu kommt, dass die südasiatischen Arbeiter faktisch Palästinensern die Arbeitsplätze wegnehmen, was die palästinensische Sache schädigt. Die indische Politik sympathisierte lange mehr mit den Anliegen der Palästinenser als mit der israelischen Seite. Bei der berühmten UN-Abstimmung zur Zweistaatenlösung und zur Gründung Israels 1948 hatte sich das junge unabhängige Indien gegen den Teilungsplan gestellt. Schon Mahatma Gandhi tat sich trotz Sympathie mit dem Schicksal der Juden unter Nazi-Herrschaft mit dem Zionismus schwer, der zu sehr nach Kolonialismus aussah. Indien unterstützte im November 1975 in der UN-Generalversammlung sogar die berüchtigte Resolution 3379, die Zionismus mit Rassismus gleichsetzte. Diese Resolution wurde jedoch am 16. Dezember 1991 durch die Resolution 46/86 wieder aufgehoben – auch diesmal mit der Stimme Indiens. Erst danach (1992) nahm Indien diplomatische Beziehungen mit Israel auf. Offiziell unterstützt Indien die Zwei-Staaten-Lösung.
Die Israel-kritische Haltung der indischen Regierungen haben sich über die Jahrzehnte hinweg graduell geändert. Narendra Modi besuchte Israel als erster indischer Premierminister 2017 und sucht die Zusammenarbeit vor allem im High Tech-Bereich, in der Landwirtschaft und in der Waffentechnik. Der Hindu-Nationalismus sympathisierte faktisch von Anfang an mit dem Projekt des jüdischen Staates und sah hier ein Spiegelbild ihrer eigenen identitätspolitisch basierten Idee der indischen Nation. Heute sehen viele rechtsgerichtete Hindus Israel als Bollwerk und natürlichen Verbündeten gegen den Islam.
Eines ist klar: Die israelische Landwirtschaft wird auch in Zukunft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sein. Für die Palästinensischen Landarbeiter ist vermutlich das Rennen gelaufen. Indischen nepalesische und srilankische Landarbeiter sind dagegen hochwillkommen. Viele Israelis haben eine besondere Zuneigung zu Indien, Nepal und Sri Lanka als Reiseländer, sie besuchen Yoga-Kurse und schätzen indische Restaurants. Landarbeiter aus Südasien, die zum Wohlstand in Israel beitragen, müssen allerdings mit miserablen Arbeitsbedingungen Vorlieb nehmen.
Heinz Werner Wessler