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Ausnahmezustand in Leh, Union Territory Ladakh

27. September 2025

Am 24. September kam es zu den bisher schwersten Unruhen in der für Indien militärisch besonders sensiblen Himalayaregion Ladakh, die im Norden des Landes an die beiden Erzrivalen Pakistan und China grenzt. Seit mehreren Jahrzehnten fordert man dort mehr Autonomie und Unterstützung durch die Unionsregierung. Bisher wurde darauf zumeist mit Schlagstockeinsatz (Hindi: lathi charge), Sperrstunden und Verhaftungen reagiert. Dieses Mal waren die zum Großteil jungen Demonstrant(inn)en angeblich entschieden aggressiver. Es kam zu Brandstiftungen und Angriffen auf die Sicherheitskräfte, welche diese, es ist noch unklar warum, ziemlich bald mit Schusswaffen beantworteten. Offiziell gab es über 70 zum Teil schwer Verletzte und fünf Todesopfer, die ersten in dieser Auseinandersetzung. Gefeuert wurde nicht von der Ladakh Police, sondern der Central Reserve Police Force, die aus ortsfremden Kräften besteht. Seit den Ausschreitungen gilt in Ladakh zwar keine Sperrstunde, doch Bazare und Geschäfte sind geschlossen, Versammlungen verboten und das öffentliche Leben ruht. Am 26. September wurde Sonam Wangchuk, der informelle Anführer der Proteste, ohne weitere Angabe von Gründen in Polizeigewahrsam genommen.

Sonam Wangchuk (geb. 1966) war bis vor wenigen Jahren primär als Pädagoge, Kultur-und Öko-Aktivist bekannt, und das bis in den Westen. Seit der Abtrennung Ladakhs vom ewig Bürgerkrieg geplagten Jammu & Kashmir 2019, lange gefordert von den Einheimischen, tritt Wangchuk auch politisch hervor. Durch die Abtrennung wurde der buddhistisch-muslimisch geprägte Landstrich als Union Territory direkt der Unionsregierung in Delhi unterstellt. Wangchuk gehen die angekündigten Reformen nicht weit genug. Nach der Anfangseuphorie wurde bald deutlich, dass die direkte Verwaltung durch Delhi genauso mit Nachteilen verbunden ist wie vorher die durch Srinagar. In Jammu & Kashmir hatte man ab 1990 andere Probleme zu bearbeiten als die im abgelegenen Himalaya, und für Delhi ist die Region mit ihren kaum 300.000 Bewohner(inne)n, die in einen der Vororte Delhis passen würden, nur von strategischem Interesse.

Naturgemäß sehen Wangchuk und seine Anhänger/-innen das anders. Und tatsächlich liegt in Ladakh einiges im Argen. Es ist eine der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen Indiens. Die ganze Zivilisation hängt an den Gletschern der Berge und die Menschen müssen hilflos zusehen, wie diese langsam aber sicher verschwinden. Wie es danach weitergeht, ist unklar. Segen, aber auch eine Art von „Fluch“ ist die wichtigste privatwirtschaftliche Einnahmequelle, der Tourismus. Während früher die Armee der Hauptarbeitgeber war, finden nun die meisten Menschen, voran die Jungen, im Tourismus ihren Unterhalt. Um aber die Infrastruktur dafür zu schaffen (Hotels usw.), verdingen sich jeden Sommer zehntausende Wanderarbeiter/-innen (zumeist Biharis, Jharkandis, Nepalis und Kashmiris) auf Baustellen und im Dienstleistungsgewerbe. Die Anwesenheit zahlreicher „Fremder“ wird wie andernorts als Bedrohung aufgefasst. Genauso kam viel Kapital zur Entwicklung der Tourismusindustrie aus dem Süden und viele Gewerbe sind nicht mehr in der Hand der wie auch immer definierten „Locals“. Auch das wird als Überfremdung und unfair gesehen. Der parteilose Wangchuk (Ladakh ist bisweilen in BJP Hand) fordert deshalb die Anwendung des 6th Schedules (Anhang VI) der Indischen Verfassung. Dieser gilt soweit nur in den sieben Bundesstaaten im Nordosten. Dort ist Auswärtigen unter anderem der Erwerb und Besitz von Grund und Boden untersagt.

Wiederum ist Wangchuk auch bei den Ladakhis (selbst den buddhistischen) nicht unumstritten. Viele sind der Meinung, dass Delhi die Region überdurchschnittlich gefördert hat und weiterhin fördert. Tourist(inn)en können das bezeugen. Wer Leh oder auch die Dörfer besucht, fühlt sich nicht nur kulturell nicht in Indien, die Region macht zumindest visuell einen deutlich wohlhabenderen Eindruck. Die Häuser sind alle stattlich (und neueren Datums) und die SUV-Dichte so hoch wie in jeder Großstadt im Süden. Kritiker werfen Wangchuk vor, ein Ideal zu verfolgen, das mit dem modernen Indien nicht mehr vereinbar ist. Der Lockdown trifft die örtliche Ökonomie an der empfindlichsten Stelle – zum Glück ist die Tourismussaison praktisch vorbei.

Anlass der Unruhen war ein Hungerstreik Wangchuks, auf den die Autoritäten weder in Leh noch in Delhi reagierten. Vor allem seine jungen Anhänger/-innen empfanden dies als unerträgliche Provokation. Aktuell steht Leh noch unter Schock, es sind die ersten Toten. Wangchuk beendete darauf den Hungerstreik und forderte seine Anhänger/-innen auf „…to stop such nonsense…“, weil dies der Sache nicht dienlich sei. Sicherlich wird er in Zukunft mehr Gegenwind erhalten, nicht nur aus Delhi. Seine Taktik wird er auf alle Fälle ändern müssen.

M. S.

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