Am 4. Februar 2025 verstarb Prinz Karim Al-Hussaini, bekannt als Aga Khan IV, im Alter von 88 Jahren in Lissabon. Als geistliches Oberhaupt der geschätzten 20 Millionen ismailitischen Muslime (auch “Nizariten” genannt) und zugleich milliardenschwerer Philanthrop hinterlässt er ein komplexes Erbe. Seine Geschäfte und sein Privatleben waren von einer Aura der Diskretion umgeben – trotzdem galt er in der Welt der Superreichen als gut vernetzt. Interviews gab er nur sehr selten. Geboren in der Schweiz, hatte er angeblich vier Staatsbürgerschaften und lebte vorwiegend in seinem Schloss in Frankreich. Gewiss war er Jetsetter und Lebemann, doch war er auch für seine wohltätigen Initiativen geehrt und geschätzt. Als 49. Imam hatte er 1957 im Alter von 20 Jahren die Führung der ismailitischen Gemeinschaft von seinem Großvater übernommen. Sein eigenes Profil erstellte er mit dem Aufbau einer finanziell sehr gut ausgestatteten Stiftung, das Aga Khan Development Network (AKDN), das jährlich rund eine Milliarde US-Dollar in Projekte in über 30 Ländern investiert. Diese Initiativen konzentrieren sich auf Bildung, Gesundheitswesen und Umwelt. In den letzten Jahren sind in Afrika und Asien unter anderem zahlreiche Aufforstungsprojekte mit Mitteln der AKDN finanziert worden.
Auch Umweltwissenschaften gehören zu den Förderungsbereichen. Die Aga Khan University (AKU), ein Teil des AKDN, hat ihren Hauptsitz in Karatschi, Pakistan, und weitere Standorte in anderen Ländern. Ein herausragendes Projekt ist das Arusha Climate and Environmental Research Centre (AKU-ACER) in Tansania, das 2022 von der Aga Khan University gegründet wurde. Das Zentrum widmet sich der Forschung in Bereichen wie nachhaltige Landwirtschaft, Ökologie und Klimawissenschaften.
In Tajikistan geriet die Aga-Khan-Stiftung unter Druck. Die Regierung verstaatlichte mehrere von der Stiftung betriebene Einrichtungen, darunter Schulen und medizinische Zentren, was Fragen zum Einfluss und zur Rolle der Stiftung in der Region aufwarf.
Kritiker bemängeln, dass der Aga Khan trotz seines philanthropischen Engagements einen luxuriösen Lebensstil pflegte, einschließlich des Besitzes einer 200 Millionen Pfund teuren Superyacht und des größten Privatjets der Welt, der – wie es heißt – sein eigentliches Zuhause war. Unter orthodoxen Muslimen sind die Ismailis auch wegen ihrer Lehre vom lebenden Imam umstritten. Dass der Agha Khan keinen Alkohol trank, wie es sich für orthodoxe Muslime gehört, reichte nicht aus, um das Ansehen der Ismailis in diesen Kreisen zu verbessern.
Sein Tod hinterlässt eine Lücke in der Führung der ismailitischen Gemeinschaft. Nach der langen Regentschaft des Agha Khan wird sein Nachfolger, der 1971 in Genf geborene Prinz Rahim, ein eigenes Profil erst noch entwickeln müssen. Seine Mutter ist die seit 2011 geschiedene deutsche Ehefrau des Agha Khan, Prinzessin Gabriele zu Leinigen. Die Gläubigen sind seiner Familie treu ergeben, die den jeweiligen Imam stellt und angeblich in direkter Linie auf den Profeten Mohammed zurückgeht. Ismailiten sind eine schiitisch-islamische Glaubensgemeinschaft, die ihre Ursprünge im 8. Jahrhundert hat. Sie spalteten sich nach dem Tod des sechsten schiitischen Imams, Ja’far as-Sadiq, von der Hauptlinie der Schiiten ab, indem sie dessen Sohn Ismail als rechtmäßigen Nachfolger anerkannten. Diese Spaltung führte zur Entstehung der ismailitischen Bewegung innerhalb der Schiiten, die sich durch eine betonte geistige Auslegung des Islams und eine starke Hierarchie innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft auszeichnet.
Historisch gesehen gewannen die Ismailiten besonders unter der Fatimiden-Dynastie (10. bis 12. Jahrhundert) an Bedeutung, die Ägypten regierte und Kairo zur Hauptstadt machte. Während dieser Zeit gründeten sie die al-Azhar-Universität, eine der wichtigsten islamischen Lehrstätten bis heute. Nach dem Fall der Fatimiden zogen sich die Ismailiten in verschiedene Regionen zurück, darunter Persien, Indien, Zentralasien und das heutige Pakistan, später auch Ostafrika. In der Gegenwart sind viele Ismailiten erfolgreiche Geschäftsleute. Sie gelten als gut integrierte, spendenfreudige Minderheit in Indien, Pakistan, Ostafrika und gegenwärtig auch in westlichen Ländern. Im heutigen Iran ist der Zwölfer-Schiismus (Jaʿfariten) die dominante Glaubensrichtung. Die iranischen Ismailiten verhalten sich unauffällig und sind damit bisher der aktiven Verfolgung entgangen, die etwa die Bahai erfahren mussten und müssen. Der Fürstentitel Aga Khan wurde in den 1830er Jahren einem Vorfahren von Karim al-Husseini vom Schah von Persien verliehen. Den Titel “Prinz” erhielt Agha Khan I in Britisch-Indien 1887 zugesprochen. Beide Titel werden seither weitervererbt.
Heinz Werner Wessler