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G20 und We20

Der G20-Gipfel in Neu-Delhi war ein Großereignis der Extraklasse für Indien und für dessen Regierung genau die Art von symbolischer Selbstinszenierung der Nation, die sie so sehr liebt. Unversehens wurde es zum größten und am besten vorbereiteten Treffen der Regierungschefs der 20 (vermeintlich) wichtigsten Industrieländer der Welt. Seit Monaten war Delegation um Delegation aus aller Welt in Delhi eingetroffen, um dieses lange Wochenende vorzubereiten. Delhi war voll von G20-Plakaten, die wichtigsten Straßen im Zentrum gesperrt und von einem Riesenaufgebot von Polizei und Militär bewacht.

Bisher hatte es jedes Jahr auch eine schwergewichtige Abschlusserklärung gegeben, die selbstverständlich jeweils im Voraus weitgehend verhandelt wird, beim Treffen können dann nur noch wenige Details geändert werden. In den vergangenen Wochen aber befand sich die Abschlusserklärung auf der Kippe. Grund waren die unterschiedlichen Positionen zum Ukraine-Krieg: Die EU-Staaten und Großbritannien bestanden darauf, den russischen Angriff zu verurteilen. Dagegen stemmten sich Russland und China.

Für Indien war es ein herber Schlag, dass sowohl Wladimir Putin als auch Xi Jinping ihre Teilnahme absagten. Anders als beim BRICS-Gipfeltreffen in Südafrika vor einigen Wochen hätte Indien Putin nicht verhaften müssen, das es kein Unterzeichnerstaat des Römer Statuts für den internationalen Gerichtshof ist. Der Rückzug von Xi Jinping hängt vermutlich mit den jüngsten außenpolitischen Reibereien mit Indien zusammen, die mit der Veröffentlichung einer offiziellen Landeskarte in Beijing zu tun hat, in der China seine maximalen Gebietsansprüche im indischen Himalaya markiert.

In Delhi war ein riesiges Aufgebot der Sicherheitskräfte in den kritischen Tagen eingesetzt. Die Innenstadt war ansonsten weitgehend menschenleer, die Geschäfte geschlossen. Im Vorfeld hatte die Polizei bereits jegliche Demonstration gegen den Gipfel zunichte gemacht. Eine Koalition von NGOs unter der Selbstbezeichung „WE 20“ (Wir zwanzig) wurde mithilfe der willfährigen Gerichte und der Polizei zerschlagen.

Der große Knackpunkt für die Schlusserklärung war der Punkt Ukraine-Krieg. Indien ist zwar gegen den Krieg in der Ukraine, betont der Außenminister und sein Personal, will aber nicht Russland als Kriegstreiber bezeichnen. Vielmehr versuchte Indien in den vergangenen Wochen, den Krieg zu relativieren. Wenn man den Ukraine-Krieg als nur einen von vielen Konflikten dieser Welt sieht, sieht die Lage in der Tat anders aus. Dass die Abschlusserklärung ohne Verurteilung Russlands zustande kam, ist ein Erfolg für Indiens Diplomatie zum Abschluss von Modis Präsidialjahr. Europäer und Amerikaner wollten Regierungschef Narendra Modi diesen Erfolg nicht mies machen.

Immerhin, heißt es in der Abschlusserklärung, die territoriale Unabhängigkeit anderer Länder seinen zu akzeptieren und der Einsatz von Atomwaffen durch nichts zu rechtfertigen. Mit dieser Formulierung kann sowohl Russland als auch China leben, wie sich zeigte. Auch die Aufnahme der Afrikanischen Union in die G20 ist ganz im Sinne Indiens, dass sich schon immer als Vorkämpferin für die Rechte der armen Länder dieser Welt gesehen hat.

Der „We20“ Gegengipfel hatte sich kürzlich dagegen mit Fragen der Arbeiterrechte, des Zugangs zu Ausbildung und Jobs, mit der Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen und der Schwächung der Zivilgesellschaft und des demokratischen Systems befasst. Für die große Politik sind diese Fragen aber kaum von Bedeutung. Ihr ging es bei diesem Gipfel darum, Bharat (bzw. Indien) als aufstrebende Supermacht zu inszenieren, die sich seinen Platz im Polit-Karussell der Welt schafft. Und in der Tat, dies stimmt mit den Zielen der westlichen Welt überein, die Indien als Gegengewicht zu China aufbauen wollen. Mit diesem G20-Gipfel ist Indien nun tatsächlich dem Großmacht-Status ein Stück nähergekommen.

Heinz Werner Wessler

 

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