UN-Menschenrechtsrat (UN Human Rights Council, UNHRC)
Indien stellt sich für den Zeitraum 2026-2028 als Mitglied des UN-Menschenrechtsrates (UNHRC) zur Wahl. Indien kandidiert für einen der vier Listenplätze, die laut UN-Regeln der Region Asien zugeordnet sind. Neben Indien kandidieren Pakistan, Irak und Vietnam – also vier Länder für vier Mandate. Aller Erfahrung nach gibt es somit an der Wahl Indiens keine Zweifel. Eine Wahl verhindern zu wollen, ist angesichts des Rückhalts Indiens in der UNO nicht realistisch. Die Wahl durch die UN-Generalversammlung erfolgt am 9. Oktober in New York.
Die Kandidatur Indiens bietet allerdings die Gelegenheit, eine Bilanz zu ziehen und die Rolle Indiens im UN-Menschenrechtskontext einzuordnen.
In der Resolution 60/251, mit der der UNHRC ins Leben gerufen wurde, heißt es: „Die in den Rat gewählten Mitglieder müssen die höchsten Standards bei der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte einhalten, uneingeschränkt mit dem Rat zusammenarbeiten und während ihrer Amtszeit im Rahmen des universellen periodischen Überprüfungsmechanismus überprüft werden.“
Höchste Standards
Indien hat zahlreiche internationale Menschenrechtsabkommen ratifiziert, darunter die beiden UN-Pakte über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Allerdings hat Indien keinem der individuellen Beschwerdemechanismen zugestimmt, das es einzelnen Staatsbürger:innen erlauben würde, vor einem UN-Fachausschuss zu den Abkommen Klage zu führen. Auch sonst gibt es in der Realität eine deutliche Diskrepanz zwischen formaler Anerkennung und tatsächlich erfolgter Umsetzung dieser Abkommen (s. Score Card im Anhang).
Darüber hinaus wird im jährlichen Bericht des UN-Generalsekretärs an den UN-Menschenrechtsrat über Repressalien gegen Menschenrechtsverteidiger:innen Indien regelmäßig kritisch erwähnt (Annual reports on reprisals for cooperation with the UN). Anhand konkreter Beispiele zeigen die Berichte auf, wie die indische Regierung Menschenrechtsverteidiger:innen im Land unter Druck setzt, die in Sachen Menschenrechte mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten und kritische Analysen zur Situation der Menschenrechte erstellen. Der in Genf ansässige International Service for Human Rights (ISHR) hat zusammen mit Amnesty International einen Index (Score Card) erstellt, demzufolge Indien fast keinem der höchsten Standards entspricht (s. Anlage).
Kennzahlen internationaler Organisationen zum Zustand von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stufen Indien allenfalls als „teilweise frei“ (Freedom House Index), als „defekte Demokratie“ (BTI Transformationsindex) oder als „fehlerhafte Demokratie“ (Economist Intelligence Unit Index) ein. Daten des Pew Research Center aus den Jahren 2024 und 2025 bewerten Indien für das Jahr 2022 mit 9,3 von 10 Punkten (schlechtester Wert) auf einem Index, der religiös motivierte Feindseligkeiten (Social Hostilities Index) bemisst. Indien gehört hier zusammen mit Nigeria und Afghanistan zu den am schlechtesten bewerteten Ländern. Auch der Länderbericht 2024 des US-Außenministeriums bewertet die Situation insbesondere muslimischer Glaubensgemeinschaften als prekär.
Die Wahrung der Menschenrechte in Indien gilt demnach nicht für alle. Die rechtsstaatlichen Garantien sind in den Bundesstaaten unterschiedlich durchsetzbar, juristische Verfahren vor Amtsgerichten und in den ersten Berufungsinstanzen immer wieder durch Vorurteile gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie Adivasi, Dalit oder Muslime belastet. Durch Wahlen können parlamentarische Mehrheiten und Regierungszusammensetzungen auf Unions- wie auf bundesstaatlicher Ebene verändert werden, die Berichte über manipulative Eingriffe in das Wahlverfahren sind jedoch vielfältig. Jüngstes Beispiel hier ist die beabsichtigte Veränderung des Wähler:innen-Verzeichnis im Bundesstaat Bihar (Stichwort: Special Intensive Revision).
Warum Indien im UN-Menschenrechtsrat
Der UN-Menschenrechtsrat setzt sich aus Staaten bzw. Regierungen zusammen und sondiert im besten Fall die Möglichkeiten der politischen Umsetzung der Menschenrechte. Die Mitgliedschaft in diesem UN-Organ hat neben der fachlichen Qualifikation auch den Aspekt der Durchsetzbarkeit von Menschenrechten im Blick. Die Mitgliedschaft müsste also dazu genutzt werden, Menschenrechte in denjenigen Ländern in den Fokus zu rücken, die eine teilweise offene Missachtung der Menschenrechte an den Tag legen und realpolitisch mächtig genug sind, sich einer institutionellen Überprüfung durch UN-Mechanismen zu entziehen.
In der Vergangenheit hat Indien in dieser Hinsicht eine ambivalente Rolle eingenommen. Einerseits hat Indien immer wieder die Verletzung von Menschenrechten und die Doppelbödigkeit der Menschenrechtspolitik in westlichen Ländern thematisiert, wenn andere sich nicht trauten. Andererseits stellte sich Indien gegen fundierte Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Staaten, die Indien aus politischen Gründen von Kritik fernhalten wollte. So hat Indien als Ratsmitglied keine führende Rolle bei länderspezifischen Resolutionen eingenommen und einen Mangel an Führungsstärke in kritischen Menschenrechtsfragen gezeigt.
Inwieweit Indien die Kriterien und Erwartungen an die Mitgliedschaf im UNHRC erfüllt hat, ist umstritten. Seit 2019 war Indien Gegenstand von rund 25 Erklärungen von UN-Menschenrechtsexpert(inn)en und dem OHCHR. Dort äußerten UN-Expert(inn)en ihre Besorgnis über die innerstaatlichen Menschenrechtsprobleme und die Nichteinhaltung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen.
Gleichzeitig stellte sich ein ungewollter Nebeneffekt der indischen Ratsmitgliedschaft ein, als die internationale Öffentlichkeit begann, sich verstärkt für die Lage der Menschenrechte im Land zu interessieren und die Entwicklung gemessen an den Standards kontinuierlich kritisch zu begleiten. Beteiligt sind hier vor allem Medien, Menschenrechtsorganisationen und andere zivilgesellschaftliche, beispielsweise akademische Organisationen.
Indien im UPR-Verfahren
Kritisch zu bewerten ist ebenfalls Indiens Handhabung des Universal Peridoic Review (UPR), ein institutioneller Mechanismus des UNHRC, durch den alle 4,5 Jahre alle Mitglieder der Vereinten Nationen sich einer Überprüfung ihrer Menschenrechtssituation unterziehen müssen. Indien hat sich zwar an allen bisherigen UPR-Prüfungen beteiligt, aber von den nach den UPR-Ergebnissen ausgesprochen Empfehlungen eigentlich nichts umgesetzt.
Bei der letzten UPR-Überprüfung 2022 forderten mehrere Länder die Regierung Indiens auf (zu allen Empfehlungen s. UN-Dokument A/HRC/52/11 vom Dezember 2022), den Schutz der Religionsfreiheit und der Rechte religiöser Minderheiten zu verbessern, wobei mehrere Länder ihre Besorgnis über die zunehmende Gewalt und Hassreden sowie die Verabschiedung diskriminierender Maßnahmen durch die Regierung, wie beispielsweise „Anti-Konversionsgesetze“, zum Ausdruck brachten (o.a. Pew Research Center). Darüber hinaus erklärten 19 Länder, dass Indien das UN-Übereinkommen gegen Folter ratifizieren sollte, ein Vertrag, den Indien zwar 1997 unterzeichnet aber nie ratifiziert hat. Die Regierung Indiens hatte bereits im UPR-Zyklus 2012 wie 2017 erklärt, sich zur Ratifizierung des Vertrags verpflichtet zu fühlen, aber bislang ohne Ergebnis. Folter und andere Misshandlungen werden weiterhin routinemäßig von der Polizei und anderen Sicherheitskräften eingesetzt, um Informationen zu sammeln oder „Geständnisse” zu erzwingen.
Indien und UN-Special Procedures
Die Special Procedures (Sonderverfahren) stellen ein Organ des UNHRC dar und setzen sich aus unabhängigen Expert(inn)en und Arbeitsgruppen zusammen. Die Mandate der Expert(inn)en werden für eine bestimmte Zeitdauer vom UN-Menschenrechtsrat per Beschluss festgelegt und gegebenenfalls erneuert, die Expert(inn)en anschließend berufen. Sie haben den Auftrag, die Menschenrechtslage weltweit zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten. Im Moment gibt es 46 thematische Mandate (etwa zu Folter, Meinungsfreiheit, Recht auf Nahrung, Klima oder Umwelt) sowie 14 Ländermandate (etwa Afghanistan, Belarus, Iran, Myanmar oder Russland).
Zwischen dem 24. Januar 2011 und dem 24. September 2024 erhielt die indische Regierung über 200 Mitteilungen von den Sonderverfahren der Vereinten Nationen. Die indische Regierung hat auf weniger als ein Drittel der erhaltenen Mitteilungen geantwortet. Seit Amtsantritt von Premierminister Narendra Modi und der Bharatiya Janata Party 2014 hat die indische Regierung nur zwei Besuche solcher Mandatsträger im Land ermöglicht. Derzeit liegen 19 Besuchsanfragen vor. Einige davon sind seit 1999 unbeantwortet geblieben (zum Beispiel die des Sonderberichterstatters für Folter).
Indien und UN-Vertragsorgane
Indien ist Vertragspartei von lediglich sechs der neun zentralen Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen: Zivil- und Sozialpakt, Anti-Rassismus-Konvention sowie die Konventionen zu Frauenrechten, Kinderrechten und Rechten von Menschen mit Behinderung. Indien hat keines der individuellen Beschwerdeverfahren bei den einzelnen Fachausschüssen zur Überprüfung der Umsetzung der Konventionen anerkannt.
Der Menschenrechtsausschuss (UN Human Rights Committee) zur Überprüfung des Zivilpaktes (bürgerliche und politische Rechte) äußerte in allen bisherigen Überprüfungen Kritik an der mangelnden Umsetzung der Menschenrechtsstandards bei:
- Diskriminierung und Gewalt aufgrund von Religion, Kaste und Geschlecht
- Gewalt gegen Frauen
- Menschenhandel und Schuldknechtschaft
- übermäßige Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung
- Anwendung der Todesstrafe
- Folter und andere Misshandlungen
- mangelnder Schutz von Migranten und Asylsuchenden
- rechtswidrige Überwachung
- Inhalts- und Datenregulierung
- Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
- willkürlicher Entzug der Staatsbürgerschaft
- Rechte indigener Völker
Der UN Fachausschuss zum Sozialpakt (wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) bemängelte in seinen Überprüfungen, dass die indische Regierung unvollständige Informationen vorgelegt und einige Fragen schlicht nicht beantwortet habe. In gleicher Weise kritisierte der UN-Fachausschuss zur Frauenrechtskonvention (CEDAW) die fortdauernde Nichtbefassung seiner Empfehlungen durch die indischen Regierungen.
Indien und das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR)
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR) verfasst selbstständig Berichte über die Lage von Menschenrechten in Ländern und zu Themen – vergleichbar das UN-Generalsekretariat in New York (s.o.). Indien war hier Gegenstand von zwei OHCHR-Berichten in den Jahren 2018 und 2019 über die Menschenrechtslage in Kaschmir. Das OHCHR hatte die indischen Behörden aufgefordert, die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen in der Region einzuhalten, repressive Gesetze wie das Gesetz über die Sonderbefugnisse der Streitkräfte (Jammu und Kaschmir) und das Gesetz über die öffentliche Sicherheit in Jammu und Kaschmir aufzuheben oder zu ändern, die Beschränkungen für Journalisten aufzuheben und alle pauschalen Verbote oder Beschränkungen zu untersuchen. Die indische Regierung denunzierte die Berichte als falsch, einseitig und vorurteilsbeladen und keine der im Bericht ausgesprochenen Empfehlungen wurde politisch aufgenommen.
Aus all dem lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass Indien kein wirklich glaubwürdiger Kandidat für die Mitgliedschaft im UNHRC ist – und gleichzeitig muss man feststellen, dass im UN-Menschenrechtsrat Staaten Mitglieder sind, die eine eher noch schlechtere Menschenrechtsbilanz vorweisen. Die faktische Bilanz scheint bei der Wahl durch andere Staaten in der UN-Generalversammlung also keine entscheidende Rolle zu spielen.
Umso mehr liegt es an Menschenrechtsorganisationen, Medien und zivilgesellschaftlich organisierten Gruppen, Indiens nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzufordern. Es gibt sicher auch in der indischen Unions- wie in einigen Landesregierungen (Bundesstaat) Regierungsmitglieder und Beamte, die ein Interesse haben, dass der Staat Indien verantwortungsbewusst mit den Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen und insbesondere mit dem UN-Menschenrechtsrat zusammenarbeitet und die Standards konsequent erfüllt.
Es gibt einiges mehr zur schwierigen, kritischen Situation der Menschenrechte in Indien sowie zur Rolle Indiens im UN-Menschenrechtsrat zu sagen. Wir laden ein, dazu unter anderem die Zeitschrift SÜDASIEN zu konsultieren und am besten zu abonnieren.
Theo Rathgeber
Adivasi-Koordination e.V. und
Redaktion SÜDASIEN





