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Indien verschreibt sich dem Kampf gegen den Terrorismus – während Pakistans Armeechef zum Feldmarschall ernannt wird

Wer ist Sieger in der militärischen Auseinandersetzung zwischen Indien und Pakistan, die die Welt tagelang (7.-10.5.) in Atem hielt? Die indischen Medien geben sich überzeugt, dass Indien einen gerechten Kampf gegen den Terrorismus siegreich ausgefochten hat. Selbst die Opposition stellt sich in diesem Punkt klar hinter die Regierung Modi, die den Auftrag zur Bombardierung der Zentren von Lashkar-e Taiba und Jaish-e Muhammad auf pakistanischem Staatsgebiet erteilt hat. Kritische Medien werden vom Internet abgeschaltet, wenn sie etwa über den Verlust von indischen Kampfflugzeugen berichten – so geschehen mit der angesehen website von „The Wire“.

Und in Pakistan das gleiche – nur spiegelbildlich. Die Presse ist voll des Lobes für die pakistanische Luftwaffe, der es tatsächlich gelungen zu sein scheint, fünf indische Kampfflugzeuge – angeblich sogar eine der berüchtigten französischen Rafaele – mit Hilfe von modernen chinesischen Luft-Luft Raketen vom Himmel zu holen.

Während General Asim Munir, der Chef der pakistanischen Armee, in Indien als Auftraggeber des Terrorattentats vom 22. April gilt, bei dem drei oder vier Attentäter 26 Menschen brutal niederschossen, gilt Munir in Pakistan als Held. Und zum Dank wurde er nun zum Feldmarschall ernannt  – ein Ehrentitel, der zum ersten Mal seit über sechs Jahrzehnten in Pakistan vergeben wurde. General Asim Munir wurde am Dienstag von der Regierung für seine „strategische Führung“ im jüngsten bewaffneten Schlagabtausch mit Indien ausgezeichnet – und damit in eine historische Reihe mit Ayub Khan gestellt, dem einzigen anderen Fünf-Sterne-General in der Geschichte des Landes, der sich 1959 diesen Rang selbst verliehen hatte – als Militärdiktator.

Die vier Tage andauernde Eskalation Anfang Mai, ausgelöst durch indische Luftschläge auf mutmaßliche Terrorcamps in Pakistan, endete offiziell mit einer Waffenruhe. Am Morgen des 10.5. sah es nach indischen Angriffen auf Militärlager in Pakistan danach aus, dass sich nun Pakistan seinerseits mit brutalen Schlägen auf das Nachbarland wehren würde – was dann möglicherweise einen umfassenden Krieg eingeleitet hätte.

War der Waffenstillstand ein Nachgeben Pakistans? Oder siegte einfach letztlich die Stimme der Vernunft? War Pakistan bereit, als nächstes mit seinen Nuklearwaffen zuzuschlagen – oder hat es sich siegreich verteidigt? Ist es Indien und nicht Pakistan, das seine Wunden zu lecken hat? Die indische Öffentlichkeit lacht über die Behauptung der pakistanischen Armee, eine ganze Reihe von militärischen Anlagen in Indien seien von pakistanischen Raketen unbrauchbar gemacht worden. Demonstrativ ließ sich Modi mit einem Bild vor den russischen Flugabwehrraken fotografieren, die bei der Gelegenheit zum ersten Mal in Indien dokumentiert wurden. Zum Glück gegen den Widerstand der Amerikaner angeschafft hätten diese die pakistanischen Raketen anstandslos abgeschossen, bevor diese etwas hätten ausrichten können. Stattdessen verbreitet die indische Armee die Bilder von zerstörten pakistanischen Militäranlagen.

Vieles wird im Nebel gehalten – im Nebel ultranationalistischer Rhetorik. Aus pakistanischer Sicht haben die Hindu-Nationalisten jenseits der Grenze völlig unnötig und aus lauter Hass einen Krieg mit dem unschuldigen Nachbarn angezettelt. Indien dagegen sieht sich im gerechten Kampf gegen den Terrorismus und sieht Pakistan als verfallenden Staat, der mit dem Anschlag in Pahalgam am 22. April von inneren Problemen ablenken will.

Haben womöglich die Amerikaner erfolgreich vermittelt, wie Präsident Trump behauptete? Auch hier gehen die Meinungen auseinander. Pakistan hebt die Intervention der USA mit Genugtuung hervor, denn die Internationalisierung des Kaschmir-Dossiers liegt in seinem Interesse. Indien betont dagegen, der Waffenstillstand sei bilateral ausgehandelt worden und reagiert verärgert über das amerikanischen Selbstlob. Was auf jeden Fall in Erinnerung bleibt, sind die gewissenlosen Drohungen mit der nuklearen Keule, zu denen sich pakistanische Politiker in verantwortungsvoller Position hinreißen ließen. Narendra Modi machte und macht mit erhobenem Finger deutlich, zuletzt in einer Rally in Bikaner am 22. Mai, dass Indien sich davon nicht erpressen lassen wird und fordert gleichzeitig internationale Aufsicht über die pakistanischen Atomwaffen.

Tatsächlich konnte Pakistan in einem wichtigen Punkt punkten: Es ist ihm gelungen, sich in der internationalen Wahrnehmung erneut als gleichwertiger Akteur im Kaschmir-Konflikt zu positionieren – trotz ökonomischer Schwäche und politischer Instabilität. Doch die vermeintliche Aufwertung kommt mit einem Preis: Die Militarisierung des Diskurses nimmt weiter zu, und innenpolitisch wird das Narrativ eines zivilisatorischen Kampfes zwischen Muslimen und Hindus zementiert.

Gerade deshalb ist die Personalie Munir problematisch. Der frühere Chef des militärischen Geheimdienstes ISI gilt als religiöser Hardliner und wird von Kritikern als „Mullah-General“ bezeichnet. Seine Rhetorik lässt wenig Raum für diplomatische Zwischentöne. Er verortet den Konflikt mit Indien nicht nur in geopolitischen, sondern explizit in zivilisatorisch-religiösen Kategorien – ein gefährlicher Tonfall in einer Region, in der politische Rhetorik rasch zu blutiger Realität werden kann.

Hinzu kommt: Munir wird verdächtigt, selbst an der Eskalation mitgewirkt zu haben – sei es durch Duldung, sei es durch aktive Unterstützung des Anschlags auf Touristen in indisch verwaltetem Kaschmir. Kaschmir bezeichnete er gar als Halsschlagader Pakistans – mit anderen Worten, an der Grenze wird niemals Frieden herrschen. Sollte sich bestätigen, dass der Konflikt nicht nur militärisch, sondern auch strategisch kalkuliert war, wäre die Beförderung weniger Anerkennung als Belohnung für kontrollierte Destabilisierung.

Die Beförderung Munirs fällt in eine Zeit, in der Pakistan unter enormem innenpolitischem Druck steht. Die Wirtschaft stagniert, das Wachstumsziel von 3,6 Prozent wird erneut verfehlt. Die politische Landschaft ist zersplittert, der populäre ehemalige Premier Imran Khan sitzt im Gefängnis und das Vertrauen in zivile Institutionen auf einem Tiefpunkt. Hinzu kommt, dass der bewaffnete Aufstand in Baluchistan immer stärker wird – wofür Pakistan gleichzeitig Indien und die Taliban in Afghanistan verantwortlich macht. In dieser Gemengelage kommt ein populärer Militärführer mit autoritärer Ausstrahlung der Regierung Sharif durchaus gelegen – auch wenn sie damit ihre eigene politische Relevanz weiter schwächt.

Ob Munir die Amtszeit über 2027 hinaus verlängern wird – wie spekuliert – bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch: Mit dem Rang eines Feldmarschalls ist nicht nur militärisches Prestige verbunden, sondern de facto auch politischer Einfluss. Die Geschichte Pakistans lehrt, dass solche Machtkonzentrationen selten folgenlos bleiben. Die eigentlichen Herausforderungen – wirtschaftliche Erneuerung, demokratische Stabilisierung, Kampf gegen den Islamismus, regionaler Ausgleich, Kampf gegen die Zerstörung der Umwelt – bleiben dabei weiter ungelöst.

Die größte Gefahr geht jedoch von der Kriegsgefahr aus. Der Waffenstillstand vom 10. Mai steht auf tönernen Füßen. Indien hat deutlich gemacht, dass es bei einem weiteren islamistisch motivierten Anschlag wieder in Pakistan zuschlagen wird. Peinlich ist, dass die Attentäter vom 22. April immer noch nicht gefasst sind, doch aus indischer Sicht sind weitere Beweise für die pakistanische Verwicklung kaum nötig. Diesmal haben sich die Kontrahenten kurz vor dem offenen kriegerischen Konflikt noch einmal geeinigt. Im Grunde will keiner den offenen Krieg, doch die Eskalationsspirale hat ihre eigene Dynamik, wenn sie einmal losgeht. Und im Hintergrund steht die abgründige Gefahr eines atomaren Schlagabtauschs.

Heinz Werner Wessler

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