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Sind die indischen Maoisten am Ende?

Kürzlich kündigte der indische Innenminister Amit Shah, einer der Scharfmacher in der Regierung Modi, im Parlament das Ende des jahrzehntelangen Aufstands der Naxaliten bis März 2026 an. Die maoistisch inspirierte Guerilla-Bewegung war 1967 nach dem Aufstand in Naxalbari entstanden, nach dem sie sich benannten. Ihre Aktivitäten haben in den sogenannten „Roten Zonen“ im Osten, Zentrum und Nordosten Indiens erhebliches Leid und Unsicherheit verursacht. Auf ihrem Höhepunkt um 2010 waren sie in über 200 Bezirken von der nepalesischen Grenze bis weit in den Deccan hin activ. Zehntausende von Kämpfern hausten in Waldgebieten, verwickelte Sicherheitskräfte immer wieder in Feuergefechte, überfiel Transportfahrzeuge und konnte durchaus mit einer gewissen Solidarität vor allem bei den sogenannten Adivasis (Stammesbevölkerung) rechnen. Der ehemalige indische Premierminister Manmohan Singh hatte 2010 die Bedrohung der Sicherheit durch Naxaliten sogar als die schwerste Herausforderung für Indien bezeichnet. Entsprechend wurden die Daumenschrauben überall angezogen. Der Kampf zur Durchsetzung der Staatsmacht wurde von einer teilweise nahezu paranoiden Angst angetrieben. Äußerungen und Aktionen, die als Sympathieäußerungen für den Aufstand gelten konnten, wurden immer wieder mit aller Härte des Gesetzes verfolgt. Die Sicherheitskräfte gingen mit aller Härte vor, doch die regelmäßigen Erfolgsmeldungen von gewonnenen Schlachten konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Guerilla sich weiter behauptete. 2011 veröffentlichte die Booker-Preisträgerin Arundhati Roy eine eindrückliche Reportage aus dem Inneren der Bewegung unter dem Titel “Walking with the Comerades”.

Doch in den letzten Monaten mehren sich die Zeichen, die auf ein mögliches Ende dieser jahrzehntelangen Bedrohung hindeuten. Und nun scheint es auf einmal noch schneller zu gehen, als Amit Shah verkündet hatte. Im Mai gelang es den Sicherheitskräften, in die maoistische Hochburg in den unzugänglichen Wäldern von Abujhmadh in der Region Bastar vorzudringen und ihren Anführer Basavaraju zu töten. Der 70-Jährige war ab 2018 der Generalsekretär der Communist Party of India (Maoist), kurz CPI. Sein Tod gilt als Wendepunkt im Kampf gegen die Rebellen.

Vergangene Woche stellten sich mehr als 250 maoistische Kämpfer der Polizei und legten ihre Waffen nieder. Unter ihnen war auch Mallojula Venugopal Rao alias Bhupati, der seit Jahren zur Führung der CPI (Maoist) gehört. Dass sich ein führender Kader der Maoisten wie Bhupati den Behörden stellte, zeigt das Ausmaß der Verzweiflung unter den verbliebenen Kämpfern. Nach den Kapitulationen der vergangenen Woche wird die Zahl der maoistischen Guerilleros in Chhattisgarh auf nur noch auf 2-3000 geschätzt.

Die Naxaliten forderten die Umverteilung des Landes, die Landreform, den Kampf gegen die Ausbeutung der Bauern und indigener Bevölkerungsgruppen sowie die Abschaffung der feudalen Strukturen. Aus einer lokalen, bäuerlich-kommunistischen Bewegung entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine komplexe Organisation mit verschränkten politischen, militärischen und sozialen Zellen.

Trotz jahrzehntelanger Militarisierung, Polizeieinsätzen und Entwicklungsprogrammen konnten sich die Maoisten in den armen, ländlichen Regionen Chhattisgarhs, Jharkhands und Odisha’s halten. Die Bewegung wurde teilweise international zum Symbol des bewaffneten Widerstands gegen staatliche Autoritäten und wirtschaftliche Ausbeutung. Sie wurde aber auch zum Symbol des Widerstands gegen die ökologische Zerstörung im Namen neoliberaler Entwicklung. Unter den Wäldern in den betroffenen Gebieten liegen riesige Vorkommen von Kohle, Eisen, Bauxit, Kupfer und Mangan, zu deren Ausbeutung Konzerne wie Mittal, Vedanta und Rio Tinto vielerorts ganze Landschaften zerstören.

In den letzten Jahren haben mehrere Faktoren zur Schwächung der Naxaliten beigetragen. Die indische Regierung hat in einigen Bundesstaaten, insbesondere in Chhattisgarh, Odisha und Jharkhand, Kontakt mit maoistischen Gruppierungen gesucht. Durch Dialog und Initiativen zur sozialen Integration konnten einzelne Gruppen zur Aufgabe ihrer Waffen bewegt werden. Aus maoistischen Kämpfern wurden vielerorts paramilitärisch ausgerüstete Polizeikräfte.

Viele junge Angehörige der Maoistengruppen sind aus den Bewegungen ausgestiegen, weil sie die Aussicht auf Frieden, Bildung und wirtschaftliche Entwicklung in den ländlichen Gegenden suchen. Die Stärkung der ländlichen Infrastruktur, Bildung und soziale Programme haben die Akzeptanz der staatlichen Institutionen erhöht.

Die indische Armee, Polizei und paramilitärische Truppen haben in den letzten Jahren viel Energie in die Bekämpfung der Naxaliten gesteckt. High-Tech-Ausrüstung, koordinierte Einsätze und bessere Aufklärung haben es ermöglicht, Maoisten aus ihren Verstecken zu vertreiben – mit einigen bedeutenden Erfolgen in Zerschlagung von Zentren und Führungsfiguren. Zwar ist die Menschenrechtsbilanz der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die Naxaliten miserabel, doch es gelang ihnen, viele ehemalige Kämpfer zu rekrutieren, die das Terrain und die Bewegungsmuster der Aufständischen kennen.

Die eigentlichen Beweggründe der maoistischen Gruppen, nämlich die exzessive Landnahme und überhaupt die Marginalisierung der ländlichen Bevölkerung sind weiterhin vorhanden, doch die Sympathie der betroffenen Bevölkerung hat über den langen Zeitraum des Aufstands hinweg auch nachgelassen, da auch sie mit mafia-artigen Methoden operiert.

Der Staat macht seit vielen Jahren den Aufstand für das Elend vor allem der Stammesbevölkerung verantwortlich – er sah den Konflikt tendentiell vor allem unter sicherheitspolitischer Sicht. In Zukunft wird es hier keine Ausrede mehr geben. Der Wiederaufbau von Vertrauen zwischen Regierung und lokalen Gemeinschaften, die in der Vergangenheit von bewaffneten Konflikten traumatisiert wurden, wird ein langwieriger Prozess. Die Frage ist, ob in Zukunft die die Rechte der marginalisierten Bauern gestärkt werden. Die Gefahr ist, dass der Staat nach dem militärischen Sieg das Interesse an den betroffenen Regionen verliert.

Vertreter der Politik machten immer wieder auch das Christentum für den Aufstand verantwortlich. Manche Kräfte im Umkreis der Unionsregierung sehen den Weg der Befriedung in der Hinduisierung der Stammesbevölkerung, bei denen der Anteil der Christen viel höher ist als in der Gesamtbevölkerung. Viele Adivasi-Intellektuelle sehen ihre eigene traditionelle Religion nicht als Teil des Hinduismus, sondern als eine eigene Religion namens „Sarna“, der es unter anderem um eine Spiritualität der konsequenten Bewahrung der natürlichen Umwelt geht.

Ein nachhaltiger Lösungsansatz muss sich in jedem Fall den sozialen und strukturellen Ursachen der Armut und Unterentwicklung im ländlichen Raum insgesamt widmen. Eine ähnliche Konfliktlage zeigt sich in Westindien im Zusammenhang der großen Stammesbevölkerung der Bhil, deren Siedlungsgebiete sich in vier indischen Teilstaaten befinden und die einen neuen indischen Staat einfordern. Diese Forderung wird unter anderem auch von der Bharat Adivasi Party getragen, die einen Abgeordneten ins indische Parlament hieven konnte. Hier gibt es zwar keine Aufstandbewegung, doch der Staat kann nicht mehr einfach über solche Forderungen hinweggehen. Soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Entwicklung, eine Stärkung kultureller und religiöser Identität der Adivasis und politischer Dialog müssen pro-aktiv auch von Seiten des Staates gefördert werden. Adivasis müssen als Adivasis in den nationalen Konsens integriert werden.

Heinz Werner Wessler

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