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Akt der Verzweiflung? : Einmal mehr soll ein ehemaliger Premierminister in Pakistan fertig gemacht werden

Imran Khan war von August 2018 bis April 2022 Pakistans Premierminister. Er stand und steht teilweise immer noch für einen Neuaufbruch der pakistanischen Politik – und war gewiss auch im Amt eine schillernde Gestalt: Populistischer Kämpfer wider das Establishment, wider die Korruption und alle anderen Übel im gegenwärtigen Pakistan, die Stimme des kleinen Mannes, leicht islamistisch angehauchter Freiheitskämpfer – und seinerseits Teil von komplizierten Netzwerken, die mit Pfründen versorgt werden wollen. Seine Partei heißt Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI), was auf Urdu „Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit“ bedeutet. Der Name sagt alles. Khan, ehemals der Star im nationalen Cricket-Team, war es in jahrelangem zähen Kampf gelungen, seine Bewegung (sprich: Partei) durch die Institutionen zu kämpfen und im Parlament zur stärksten Kraft zu werden. Das Volk hat 2018 für ihn gestimmt, und selbst das allmächtige Militär hatte ein wenig Gefallen an ihm gefunden. Damit hatte sich eine dritte politische Kraft im Politik-Theater in der Hauptstadt Islamabad etabliert, die sich ausdrücklich als Basisbewegung und als Alternative zum politischen Establishment gab.

Doch die Feinde der Gerechtigkeit erwiesen sich als stärker. Imran Khan wurde im April 2022 durch ein (vermutlich manipuliertes) Misstrauensvotum vom Premierministeramt abgesetzt, im folgenden November bei einer Wahlkampfveranstaltung in Wazirabad (Gujranwala) bei einem Anschlag schwer verletzt und im Mai 2023 verhaftet. Pakistanische Intellektuelle neigen, was die Politik angeht, zu zynischen Urteilen: Viele sagen, die Machthaber wollten Khan und seine Partei einfach beseitigen – koste es, was es wolle.

Zweifellos stellen die Kämpfer für die Gerechtigkeit eine echte Herausforderung für das Establishment dar. Khans größter taktischer Fehler im Machtpoker in Islamabad war, sich mit dem allmächtigen Militär anzulegen, das im Hintergrund die politischen Freiräume in Schach hält. Nun hat Khan verschiedene Verfahren am Hals und ist im Gefängnis schachmatt gesetzt. Eines davon wurde immerhin dieser Tage eingestellt: Dabei ging es um etwas an den Haaren herbeigezogene Unregelmäßigkeiten bei der islamischen Heirat mit seiner dritten Frau.

Bei den nationalen Wahlen im Februar durfte die PTI llaut Gerichtsbeschluss nicht als Partei antreten, stattdessen traten ihre Vertreter als Unabhängige an – und wurden zur stärksten Gruppe, die allerdings keinen Fraktionsstatus erhielt. Diesen Status versuchen diese „Unabhängigen“ sich zu erkämpfen, was unter anderem zur Konsequenz hätte, dass sie einige zusätzliche Plätze im Parlament erhielte – nämlich für Frauen und Minderheiten. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die 2/3-Mehrheit der beiden Regierungsparteien PML-N und PPP gebrochen würde – die sich trotz tiefer Feindschaft verbündet haben, um die PTI auszuschalten.

Der neueste Schachzug zur Niederschlagung der PTI ist nun die Ankündigung von Pakistans Informationsminister Attaulah Tarar, die Regierung werde beim Obersten Gericht ein Parteiverbot für die PTI beantragen – wegen staatsgefährdende Einstellung. Führende Vertreter der Partei sollen wegen Hochverrat angeklagt werden – was zur Todesstrafe führen kann. Nicht unmöglich, dass es zu solchen Urteilen kommt, denn pakistanische Gerichte tendieren dazu, im Sinne der jeweiligen Regierung zu räsonieren. Die Zeitschrift „Dawn“ wertet das angekündigte Verbotsverfahren als einen Akt der Verzweiflung der Regierung gegenüber der größten Partei, und selbst PPP-Vertreter äußerten sich kritisch. Schwer zu sagen, was diesen radikalen Schachzug zum jetzigen Zeitpunkt ausgelöst hat. Auch ohne 2/3-Mehrheit könnte sich die Regierung halten.

Zum Teil handelt es sich sicherlich um ein Ablenkungsmanöver, gelingt es doch nicht, die schwere Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen. Die hohe Inflation nagt an der wirtschaftlichen Lage von breiten Bevölkerungsschichten, die Investitionen sinken, die Arbeitslosigkeit steigt. Finanziell steht Pakistan seit längerem an der Grenze zum Staatsbankrott. Viele Menschen wollen den Neuaufbruch, den Imran Khan eine Weile verkörpert hat und für viele immer noch verkörpert.

Andere dagegen sehen in dem 1988 geborenen Bilawal Bhutto ihren Hoffnungsträger, Parteivorsitzender der Pakistan Peoples Party (PPP), der seit 2018 Parlamentsabgeordneter ist. Imran Khan ist mittlerweile 71 Jahre alt und sowohl sein Aussehen wie seine politische Rhetorik haben ihren Glanz verloren. Seine Zeit als Premierminister hat im Grunde im Land nicht viele Spuren hinterlassen – weder kam der wirtschaftliche Aufschwung noch weniger Korruption oder weniger Abhängigkeit von China. Vielleicht eignet sich tatsächlich Bilawal, der jüngste Spross einer alten Politikerdynastie, am besten zur Projektion von Hoffnungen auf den heftig herbeigesehnten politisch-moralischen Aufbruch in Islamabad.

Zur Erklärung: Das politische Establishment

Das Establishment – das sind insbesondere die zwei klassischen nationalen Parteien Pakistan Muslim League (Nawaz) – oft als PML-N abgekürzt. Sie wird von Nawaz Sharif geführt. Er war von 1990-1993, 1997-1999 und von 2013-2017 Premierminister, wurde jedoch von der Veröffentlichung der „Panama Papers“ 2016 schwer belastet, aufgrund von Korruptionsvorwürfen durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs von seinem Amt enthoben und tatsächlich zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Das Oberste Gericht erlaubte jedoch 2019 eine Haftentlassung, woraufhin er zu medizinischen Behandlungen nach London ausreisen konnte. Von dort kehrte er nach der Entmachtung von Imran Khan im Oktober 2023 nach Pakistan zurück und gilt nach wie vor mit seiner Familie als der wichtigste Drahtzieher der PML-N.

Die andere große Partei ist die Pakistan Peoples Party – PPP: Gegründet von Zulfikar Ali Bhutto und später von seiner Tochter Benazir Bhutto geführt, ist die PPP eine der ältesten und bedeutendsten Parteien des Landes. Derzeit wird sie von Bilawal Bhutto Zardari geleitet, der in Oxford studiert hat und, wie es heißt, nur widerwillig die politische Nachfolge seiner Mutter Benazir antrat, die 1979 nach der Hinrichtung ihres Vaters die Führung der Partei mit ihrer Machtbasis in der Provinz Sindh übernommen hatte. Von 1988-1990 und von 1993-1996 war sie die erste Premierministerin in einem islamisch dominierten Staat und verkörperte damals den politischen Neuaufbruch Pakistans nach der lähmenden Militärdiktatur Zia ul-Haqs. Nach 1996 verbrachte sie mehrere Jahre im Exil, was ihr komplizierte Gerichtsprozesse wegen Korruption und Hochverrat in Pakistan ersparte, die zu langjährigen Haftstrafen hätten führen können. Im Oktober 2007 kehrte sie nach Pakistan zurück, fiel aber im Dezember 2007 bei einem Wahlkampfauftritt einem Attentat zum Opfer.

Weniger bedeutsam ist die Partei Muttahida Qaumi Movement – MQM: Diese Partei hat ihre Basis hauptsächlich in den urbanen Zentren der Provinz Sindh, besonders in Karachi. Sie wurde ursprünglich als Vertreter der Muhajir-Gemeinschaft gegründet, hat aber auch im Punjab eine gewisse Anhängerschaft.

Heinz Werner Wessler

 

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