In den Großstädten Südasiens herrscht wieder einmal sprichwörtlich dicke Luft. Der Luftqualitätsindes (Air Quality Index, AQI), der das Leben der Menschen wie der Wetterbericht begleitet, weist wie stets in den Wintermonaten wahrlich beängstigend hohe Schadstoffwerte auf. Der AQI lag in den letzten drei Wochen zwischen 300 und 400 und damit fast 20- bis 30-mal höher als der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Grenzwert.
In Delhi tendieren die Stadtbewohner immer noch dazu, die Schuld den Bauern der Umgebung der Hauptstadt anzulasten, die ihre Felder vor der neuen Saat abfackeln. Doch es ist wohl kein Zufall, dass die höchsten Schadstoffwerte um das zentrale Finanzamt (ITO) und den Internationalen Flughafen herum gemessen werden, wo das Verkehrsaufkommen von Autos, Motorrädern, Motorrikshas und Bussen besonders groß ist.
Zwar laufen ein erheblicher Teil der Motoren mit Erdgas (CNG), das einen im Vergleich zu Benzin und Diesel geringeren Schadstoffausstoff aufweist. Klar ist aber trotzdem, dass der Verkehr wohl hauptverantwortlich für die gesundheitsgefährdenden Schadstoffwerte ist.
Bisher haben die Menschen diese erschreckende Entwicklung mit einer erstaunlichen Gelassenheit geschehen lassen. Wie immer werden, wenn es besonders schlimm wird, nur Empfehlungen ausgegeben und gegebenenfalls Symptome behandelt: Schulen und Kindergärten werden geschlossen, Alten und Kranken wird empfohlen, bei geschlossenen Fenstern zuhause zu bleiben. Dass man Behörden oder gar politisch Verantwortliche in die Pflicht nehmen sollte, wird zwar gerne wiederholt, doch über viele Jahre geschah nichts. Im Gegenteil: Als vor einigen Jahren die Stadtregierung in Delhi versuchte, eine Beschränkung der PKW-Fahrten durchzusetzen – gerade Nummernschilder an geraden Tagen, ungerade an ungeraden Tagen – war der Aufschrei der Entrüstung groß. Gewiss, so der Tenor, es muss etwas geschehen – aber doch nicht auf Kosten meiner gewohnten Lebensqualität!
Doch in diesen Tagen scheint sich das Blatt zu wenden. Am gestrigen 9. November 2025 versammelten sich erstmals Hunderte von aufgebrachten Bürgern am India Gate in Neu-Delhi, um von der Regierung dringende Maßnahmen gegen die zunehmende Luftverschmutzung in der Hauptstadt zu fordern.
Laut BBC nahmen fast 400 Menschen an der Protestaktion teil, darunter Kinder, Studierende, Journalisten und Umweltaktivisten. Viele trugen symbolisch Gasmasken. Die Polizei nahm prompt rund 80 Demonstranten fest, weil sie sich ohne Genehmigung im Hochsicherheitsbereich versammelt hatten. Alle Festgenommenen seien allerdings später wieder freigelassen worden.
Am heutigen 10. November 2025 erstattete die Polizei laut Indian Express Anzeige im Zusammenhang mit den Protesten. Einem Beamten zufolge werden 80 Personen wegen Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration im Sicherheitsbereich um den Regierungssitz angeklagt.
Laut der Times of India hatten mehrere Eltern ihre Kinder bei sich, die Atemgeräte und Medikamente dabeihatten, um auf den Gesundheitsnotstand aufmerksam zu machen. Zweifellos hat sich die Luftverschmutzung inzwischen dazu entwickelt: Verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Lebenszeit von Menschen in Delhi um bis zu zehn Jahren verkürzt wird, weil sie besonders im Winter regelmäßig einer extremen Luftverschmutzung ausgesetzt sind.
Doch guter Rat ist teuer. Zwar gibt es auch in Indien immer mehr elektrisch betriebene Fahrzeuge, doch das dürfte insgesamt nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Radikale Maßnahmen zur Elektrifizierung der Flotte wie in China wird keine Unionsregierung wagen. Doch die kleine Demonstration könnte anzeigen, dass die Zeit der politischen Verantwortungslosigkeit in Sachen Luftqualität langsam zuende geht: Die Wähler könnten die Geduld verlieren.
Heinz Werner Wessler





