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Wiederannäherung zwischen den asiatischen Supermächten Indien und China

Am Samstan 30.8.2025 beginnt der Besuch des indischen Premierministers Narendra Modi in China. Dort ist er durchaus schon gewesen, doch sein letzter Besuch ist sieben Jahre her. Anlass ist formal das Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) im nordchinesischen Tianjin. Im Hintergrund steht aber die Abkühlung im Verhältnis zu den USA, die Indien eine Wiederannäherung an die andere Großmacht in Asien suchen lässt. Der Schmusekurs zwischen Indien und die USA in der Epoche unter Premierminister Narendra Modi seit 2014 ist in jüngster Zeit einer neuen Ernüchterung gewichen. Die Behauptung Donald Trumps, er habe nach dem Waffengang zwischen Indien und Pakistan am Rand eines vollumfänglichen Krieges im Mai den Frieden vermittelt, hat in Indien über die Parteigrenzen hinweg für Verärgerung gesorgt. Pakistan dagegen gehört demonstrativ zu den Ländern, die Trump für den von ihm ersehnten Friedensnobelpreis vorschlägt. Indien sieht die Kaschmir-Frage als bilaterale Angelegenheit, Pakistan dagegen will das das nationale Herzensthema internationalisieren.

Noch verstörender für das indisch-amerikanische Verhältnis sind die erratischen Strafzölle, die Trump den Importen aus Indien neuerdings auferlegt. Hintergrund ist der Vorwurf, dass Indiens Öl- und Gasimporte aus Russland 2022 exorbitant gestiegen sind, wobei Indien sich an die Preisdeckelung hält und damit formell nicht gegen Sanktionen verstößt. Nebenbei sind die indischen Einfuhren immer noch deutlich geringer als die von China.

Mit anderen Worten: Es ist für Indien an der Zeit, das schwierige Verhältnis zu China wieder aufzuwärmen. Nebenbei will Indien etwas gegen das Bündnis zwischen Peking und Islamabad setzen. China rüstet mehr und mehr Pakistan nicht nur mit Boden-Luft-Raken, Jagdflugzeugen und modernem militärischen Gerät aus, sondern vermittelt auch wichtige satellitengestützte Informationen für die Kriegführung. Das will Indien zumindest bremsen. An den umstrittenen Grenzregionen zwischen Indien und China herrscht zurzeit Entspannung. Das eröffnet den Handlungsspielraum für eine Wiederannäherung.

Modis Besuch in China ist eine diplomatische Geste auch in Richtung Trump. Sie fällt einher mit der Wiedereröffnung von Flugverbindungen zwischen China und Indien. Vermutlich läuft auch wieder die wirtschaftliche Zusammenarbeit an. Das Interesse ist gegenseitig, denn die USA ist für beide Partner mehr denn je unberechenbar geworden. Allerdings wird sich Indien sicherlich auch weiterhin nur sehr reserviert gegenüber China öffnen: Zwar sind Auslandsinvestitionen dringend erwünscht, doch es überwiegt die Sorge, der ökonomischen und militärischen Großmacht aus dem asiatischen Norden ausgeliefert zu sein. Zwar hat Indiens Bevölkerung 2023 die der Volksrepublik an Größe überholt, doch China ist und bleibt die stärkere der beiden asiatischen Supermächte.

Modi wird zwar mit Xi Jinping und auch mit Wladimir Putin zusammentreffen, meidet aber bewusst die Teilnahme an Pekings Militärparade zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Ostasien – eine Parade, an der unter anderem Kim Jong Un, der sich auch schon seit Jahren nicht mehr bei seiner Schutzmacht China hat sehen lassen. Damit sendet Modi ein doppeltes Signal: einerseits der Wille zu Dialog und Kooperation mit China, andererseits die Sorge, China zu sehr diplomatisch aufzuwerten wie auch Washington nicht gänzlich zu verprellen.

Die Reaktionen in chinesischen Medien sind dementsprechend zwiespältig. Einerseits wird die Reise als willkommenes Zeichen interpretiert, dass Indien wieder den Kontakt sucht. Andererseits dominieren Skepsis und Vorwürfe: Indien wolle „auf zwei Hochzeiten tanzen“, gleichzeitig Nähe zu Washington und Peking suchen und so seine Position maximieren. Indien sieht den ökonomischen und militärischen Expansionismus der Volksrepublik mit großer Sorge. Vor allem der ökonomische Wettbewerb zwischen den beiden Ländern ist aus indischer Sicht stärker als die gemeinsamen Interessen.

Die entscheidende Frage lautet daher, ob dieser Besuch mehr bringt als neue Fotos für die internationale Bühne. Die Kernprobleme – von ungelösten Grenzstreitigkeiten über gegenseitiges Misstrauen bis hin zu globalem Konkurrenzdenken – werden durch einige Tage diplomatischer Höflichkeiten kaum verschwinden. Stattdessen zeigt sich, dass Modis Schritt nach Peking zwar geopolitische Flexibilität demonstriert, aber keinen wirklichen strategischen Neuanfang darstellt. Vielmehr bleibt es ein Balanceakt zwischen den rivalisierenden Großmächten, bei dem Indien vor allem versucht, nicht zwischen den Fronten von USA und China erdrückt zu werden.

Heinz Werner Wessler

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